Ulf Gebken 

Die neuen Bundesjugendspiele auf dem Prüfstand

 

Geschichte .
Bundesjugendspiele - die offizielle Seite
Die offizielle Seite
Ein Fossil im bundesdeutschen Schulsport, die 1951 einführten Bundesjugendspiele, wird modernisiert. Das aus der Präsidentin der KMK (ständige Konferenz der Kultusminister der Länder), der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Präsidenten des Deutschen Sportbundes gebildete Kuratorium der Bundesjugendspiele hat nach mehrjähriger Erarbeitung und Erprobung ein fast 100-seitiges Handbuch vorgelegt, dass inzwischen an alle Schulen versandt worden ist. Erarbeitet wurde die neuen Bundesjugendspiele unter Beteiligung der Kommission Sport der KMK, der Deutschen Sportjugend, des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, des Deutschen Turner-Bundes und des Deutschen Schwimm-Verbandes.
Diese neue Ausschreibung mit zahlreichen Anhängen steht in enger Tradition zu der bisherigen 50jährigen Praxis der Bundesjugendspiele. Hervorgegangen aus den Reichsjugendwettkämpfen in der Weimarer Republik und den nationalsozialistisch geprägten „Reichssportwettkampf der Hitler Jugend (HJ)“ haben die Bundesjugendspiele bis in die heutige Zeit hinein großen Zuspruch erfahren. Willimczik (1992) stellt fest, dass 80% der Schulen in Westfalen regelmäßig und weitere 10 % der Schulen die Sommer- Bundesjugendspiele hin und wieder durchführen. Eine Erhebung in der Stadt Wilhelmshaven kommt 1997 zu einem ähnlichen Ergebnis. 18 von 20 Grundschulen, alle 5 Orientierungsstufen führen Bundesjugendspiele in der Sportart Leichtathletik durch. Darüber hinaus zeigen beide Untersuchungen, dass mit zunehmendem Alter (Mädchen ab Klasse 5, Jungen ab Klasse 7) die positive Einstellung der Lehrer und Schüler gegenüber den Bundesjugendspielen abnimmt. Zudem sind vor allem Hauptschüler für eine Teilnahme kaum zu begeistern sind. 

Bereits in den 70er Jahren machten sich kritische Stimmen bemerkbar, die die einseitige individuelle Leistungsorientierung beklagten. Alternative Sportfeste wurden entwickelt, ausprobiert und vor allem an Gesamtschulen aber auch an Berufsschulen umgesetzt. Das Thema "Bundesjugendspiele" ist in der sportpädagogischen Diskussion in den letzten 10 Jahren nicht mehr aufgegriffen worden. Eine Ausnahme bildet das entsprechende Themenheft der Zeitschrift Sportunterricht (4/1992), indem in erster Linie organisatorische Fragen erörtert werden. 
 

Die Probleme 

Die Kritik an der traditionelle Form der Sommer- Bundesjugendspiele (Schwerpunkt Leichtathletik) manifestiert sich an den Schulen an zwei Punkten:

  • Bundesjugendspiele werden als „Wartespiele“ erlebt. Der Sprint, die 3 Weitsprünge und die drei Würfe bewegen die Schüler einen ganzen Vormittag 45 Sekunden.

  •  
  • Mit zunehmendem Alter verweigern vor allem leistungsschwächere Schüler (besonders Mädchen) die Teilnahme. 
Zwar lassen sich interessante ergänzende Festformen entwickeln, die die Bewegungszeit verlängern würden und könnten. Nur wird dies zu selten von den Schulen praktiziert, weil für die Organisation erhebliche personelle Ressourcen benötigt werden. Zum anderen werden die „Versager-Ängste“ bei den leistungsschwächeren Schülern immer noch unterschätzt. Eine „Siegerurkunde“ nicht zu bekommen, hat immer unmittelbare negative Folgen für die Sportnote. Zudem könnten die Geschichten über die als Kampfrichter eingesetzten fachfremden Kollegen ganze Bücher füllen. In Erinnerung bleibt mir ein Lehrer, der beim Werfen den Schülern immer 5 Meter zugeschlagen hat und eine Lehrerin, die nicht nur einmal beim Sprint für den Zweitplazierten die schnellere Zeit gestoppt hat. 
Die neue Konzeption

Grundsätzliches
Mit der neuen Konzeption erhofft sich das Kuratorium der Bundesjugendspiele (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2001, 4), 

  • dass Bundesjugendspiele wieder zu „echten Festen des Schulsports“ werden,
  • dass ein Impuls auch in Richtung der Sportvereine geht, die in den Bundesjugendspielen „geforderten Bewegungs- und Wettkampfformen wieder verstärkt in das Angebot des freien Sports aufzunehmen“


In dem Vorwort zum Handbuch nimmt das Kuratorium ausdrücklichen Bezug zu den mehrperspektivischen Sinngebungen der in allen Bundesländern diskutierten neuen Rahmenlehrplänen. Eine besondere Berücksichtigung finden in dem Angebot der neuen Bundesjugendspiele die Bereiche „Leistung erfahren und erfahren“ sowie „gemeinsam handeln, wettkämpfen und sich verständigen“.
 

Bundesjugendspiele - die offizielle Seite Merkmale

Die neuen Bundesjugendspiele orientieren sich an den Grundformen der Bewegung in den drei Individualsportarten Gerätturnen, Leichtathletik sowie Schwimmen und sind in drei Teile gegliedert:

1. Wettkampf: Sportartspezifischer Mehrkampf (bisherige Bundesjugendspiele)
2. Wettbewerb: Vielseitigkeitswettbewerb der jeweiligen Grundsportart
3. Mehrkampf: Sportartübergreifender Mehrkampf der drei Grundsportarten
 

 
1.Wettkampf
2. Wettbewerb
3. Mehrkampf
Sportartspezifischer Mehrkampf:
Bisheriges Grundkonzept
(Turnen, Schwimmen, Leichtathletik)
Vielseitigkeitswettbewerb 
der jeweiligen Grundlagensportarten
Sportartübergreifender
Mehrkampf 
der drei GrundlagensportartenTurnen, Schwimmen, Leichtathletik
.
Intensiver diskutiert werden soll im Folgenden nur der zweite Teil (Vielseitigkeitswettbewerb). Der erste Teil (Sportartspezifischer Mehrkampf) unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der bisherigen Form der Bundesjugendspiele. Der dritte Teil kann aus personellen, räumlichen und zeitlichen Gründen nur selten umgesetzt werden.

Mit dem Vielseitigkeitswettbewerb wird der Verzicht auf „eine Frühspezialisierung und Einengung in ein zu starres Regelwerk“ angestrebt (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2001, 5). Die Kinder und Jugendlichen sollen an die drei Grundsportarten Gerätturnen, Leichtathletik sowie Schwimmen herangeführt werden, ohne das es zu einer Fixierung auf traditionelle Normen und Übungsformen kommt. 
 

Im Wettbewerb Leichtathletik werden Aufgaben aus den Bereichen

  • schnell laufen, 
  • weit/hoch springen,
  • weit werfen/ stoßen sowie 
  • ausdauernd laufen
angeboten.
 

In der 3./ 4. Klasse kann zum Beispiel im Bereich des schnell laufen zwischen Dreieckssprint (je 12 m Seitenlänge), Wendesprint mit Hindernissen (2 x 20 m), Hindernissprint (35 m) und Wendesprint mit Slalomlauf und Hindernissen gewählt werden. Die einzelnen Übungen werden in dem Handbuch illustriert mit dem erforderlichen Material, dem notwendigen Personal, den Vorbereitungsmaßnahmen und der Wertung beschrieben. 
 

Im Wettbewerb Turnen (es wird auf den Begriff des Gerätturnens verzichtet) werden klassenspezifische Übungen für die verschiednen Aufgabenbereiche 

  • Hängen/ Schwingen/ Hangeln/ klettern/ Schaukeln/ Ziehen,
  • Stützen/ Schieben/ Arm-Bein-Koordination nach Musik
  • Balancieren
  • Drehen/ Rollen/ Überschlagen
  • Springen
  • Partner (Miteinander) 
beschrieben.
 

Im Wettbewerb Schwimmen haben die Schüler kombinierte Aufgaben aus Startsprung, mehreren Schwimmzügen und Rollen im Wasser zu absolvieren. 
 
 

Chancen

Vielfältig, abwechslungsreich und mit hohem Aufforderungscharakter auch für leistungsschwächere Schüler ist der Vielseitigkeitswettbewerb Turnen. Die Übungen sind interessanten, attraktiven Namen gekennzeichnet und motivieren zum Ausprobieren bzw. Mitmachen. Hier ist es meines Erachtens gelungen, eine zeitgemäße Form der Bundesjugendspiele zu finden. „Faultier“, „Dschungelbrücke“ oder „Globetrotter“ bieten einen ganz anderen Aufforderungscharakter oder Anreiz als „Hüftumschwung“, „Handstand-Abrollen“ oder „Pferdchensprung“. Leider fallen die Anforderungen im Turnen sogar in den höheren Jahrgängen hinter das Kinderturnabzeichen zurück.
 
 

Probleme oder „Warum die Modernisierung der Bundesjugendspiele nicht gelungen ist?“

Mit den neuen Bundesjugendspielen ist es dem Kuratorium der Bundesjugendspiele nicht gelungen, aus Wartespielen (Die Schüler warten einen ganzen Vormittag für eine oder zwei Minuten Bewegung) ein Bewegungsfest zu entwickeln. Die Bewegungszeit bleibt gering. Der Festcharakter ist von nachrangiger Bedeutung und kommt häufig nur bei der Überreichung der Urkunden zum Tragen. Besonders Mädchen der höheren Klassen blieben den traditionellen Bundesjugendspielen fern. Besonders für sie und für die weniger sportbegeisterte Schüler waren die Bundesjugendspiele kein Höhe-, sondern nicht selten ein Tiefpunkt innerhalb eines Schuljahres. Die Ausdifferenzierung des Sportes bietet für diese beiden Gruppen attraktive Sportformen, die auch innerhalb von Bundesjugendspielen aufgegriffen werden können. Stattdessen orientierte sich das Kuratorium an traditionellen und eher an Einfluss verlierenden Sportarten Leichtathletik, Turnen und Sportschwimmen hängen. Gruppenwettkämpfe fehlen. Inline-Skating, Kampfsportformen, aber auch musisch-tänzerische Bewegungsformen sind nicht berücksichtigt worden. Sie entsprechen sicherlich auch nicht den originären Interessen der drei großen Fachverbände.
 

Konsequenzen für die Zukunft

Für die Zukunft der Sportfeste bleibt die Hoffnung, das Schulen ihre eigenen schulspezifischen Feste entwickeln. Erforderlich wird es sein, dass der Wettkampfcharakter erhalten bleibt, dass Schüler sich gegenseitig messen können und sie „Festcharakter“ dieses Bewegungstages erfahren und schätzen lernen können.  Einen besonderen Charme besitzen Sportfeste mit Gruppenaufgaben. In Kleingruppen können Spiel-, Bewegungs- oder auch tänzerische Aufgaben gelöst werden. Neue Sportformen, Bewegungsformen aus der Lebenswelt der Heranwachsenden können aufgegriffen werden. 
 

Themenfelder für Sportfeste mit Gruppenaufgaben 


Themenfeld Wasser
Fischen
Sumpfüberquerung
(Bank-) Paddeln
Kokosnüsse-Pflücken
Themenfeld: Berg
Sozialberg
Turmbau
Von Berg zu Berg
Hindernisparcours
Gruppe erklettert einen Baum
Themenfeld: Höhle
Hürdenlauf (Verbundene Augen)
Rollbrett-Slalom
Bälle suchen und zählen
Kriechtunnel
Themenfeld:
Zielen und Treffen
Frisbee-Zielwürfe durch Gymnastikreifen
Golf
Fußball über das Tor schießen
Korbwurf mit verbundenen Augen
Themenfeld:
Bewegungskünste
Gegenstandsübergabe beim Synchronschaukeln
Balancieren auf Absperrungen, Bänken
Stockspringen über einen Graben
Kopfüber Zielwerfen
Themenfeld:
"Miteinander spielen"
Fußball-Tennis
Volley spielen
Werfen und Fangen des Rugby-Eis
Themenfeld
"Auf Rollen und Räder"
Rollbrett-Parcours
Fahrrad langsam fahren
Inliner-Staffel
Pedalo-Staffel
Themenfeld
"Laufen, Springen, Werfen"
Zielweitsprung
Medizinballweitwurf
Dreisprung aus Schlusssprüngen
Zielwerfen mit Schleuderbällen
Eigene Abbildung
(Gebken 2000)


 

Erfahrungsberichte (Gebken/Schönberg 1997/1998/1999) mit ermutigenden Ergebnissen zu diesen anderen Formen von Sportfesten liegen bereits vor.


Literaturverzeichnis

Gebken, U./ Schönberg, A.: Schulsportfeste auf neuen Wegen am Beispiel der Integrierten Gesamtschule Flötenteich (Oldenburger Vordrucke Nr. 341). Oldenburg 1997

Gebken, U./ Schönberg, A.: Die Würfelrallye. In: Sportpädagogik 22 (1998) 4, S. 9- 11

Gebken, U./ Schönberg, A./ Fiss, M.: Gruppenwettkämpfe als Alternative zu den Bundesjugendspielen, In: Betrifft Sport 21 (1999) 4, S. 5- 11

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