Klettern als Schulsport
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Mit aller Kraft nach Oben

An vielen Schulen macht der Sportunterricht wieder Spaß:
KLETTERN fördert Selbstvertrauen und Geschicklichkeit der Kinder
 

Was für eine Turnhalle! Da wollte man sofort wieder Siebtkläßler sein. Kein Stufenbarren und kein Reck und ähnlicher Folterkram, nein: eine richtig prima Kletterwand an der Stirnseite, mit knackigen Überhängen fünf Meter hoch über den Matratzen auf dem Hallenboden. Geil!
 
Es ist Mittwoch nachmittag, Sportunterricht steht auf dem Stundenplan der Nymphenburger Schule in München: Da hängt der junge Lehrer Thomas Milz in der Wand, drahtig und muskulös wie ein original Südtiroler Dolomitenfex, obwohl er in der Eifel und mit Fußball groß geworden ist. Neben ihm klettern und hangeln hochvergnügt ein paar Mädchen und Jungs im Erste-Liebe-Alter. Nur Sophia, schmal und schüchtern, als habe sie sich auf dem Weg zum Schulorchester in die Turnhalle verirrt, sitzt teilnahmslos am Rande. 'Die braucht noch ein bißchen Mut', sagt der Lehrer Milz, 'das kriegen wir aber auch bald hin.' Klettern als Schulsport? Warum denn nicht, sagt Stefan Winter, Referent für Schulsport beim Deutschen Alpenverein (DAV). Was für die Italiener und Franzosen, selbst für die Engländer seit langem schon selbstverständlich sei, müsse man doch zumindest in Bayern hinbekommen.

Für ein Pilotprojekt konnte der DAV 1995 die Nymphenburger in München gewinnen und spendierte ein 70000 Mark teures aufklappbares Schmuckstück. Davon profitieren beide Parteien. Die Nymphenburger, eine Privatschule, kann im Wettbewerb um Schüler bei interessierten Eltern ein attraktives Schmankerl anbieten, ohne finanziell zusätzlich belastet zu werden.

Der DAV hingegen darf die Kletterwand in der Schulsporthalle an vier Abenden in der Woche und in den Ferien für die Mitglieder seiner Sektion Oberland nutzen und wirbt, ganz nebenbei, unter Eltern und Kindern neue Mitglieder. Stefan Winter, selbst Sportlehrer und natürlich Lobbyist, schwärmt: 'Ich kenne kaum einen Sport, bei dem Kinder ihren Körper besser kennenlernen und körperliche Kraft wie Geschicklichkeit gleichermaßen geschult werden.' Sophia hat nun auch ihre Aufgabe gefunden. Konzentriert steht das Mädchen an der Matte, um die Hüfte das Seil gebunden und vor dem Bauch einen silbernen Haken. Sie sichert Bernie, der am anderen Ende des Seiles fast vier Meter über ihr in der Wand festen Tritt und Griff sucht. Hin und wieder ruft sie ein paar Tips in Richtung des Hallendachs. Und das sieht Thomas Milz gern: 'Gegenseitiges Coachen und das Bewußtsein der Verantwortung für den anderen', sagt der Lehrer, 'fördert das Sozialverhalten der Schüler. Die Kinder hier verstehen sich wirklich als ein Team.'

Bernie hat seine Kräfte überschätzt, oben geht nichts mehr. Ein paar Sekunden klebt er noch ermattet wie eine Spinne an der Wand, dann läßt er ab und fällt einen halben Meter, bevor sich Sophias Seil strafft. Dabei touchiert er einen der grauen Griffe: eine leichte Schürfwunde am Arm, nichts Ernstes so eine Lappalie ist Bernie nicht mal ein Tränchen wert. Kratzer und blaue Flecken riskieren die Schüler jeden Mittwoch, ihre Sicherheit aber, sagt Thomas Milz, sei jederzeit gewährleistet. Ein Thema, das ihm sichtlich am Herzen liegt.

Denn Milz weiß, ein Unfall würde seinen Sport für die Schule mit einem Schlag diskreditieren. 'Laien denken, Klettern sei gefährlich und risikoreich', sagt er. 'Dabei drohen bei jedem Fußballunterricht schlimmere Blessuren.' Dennoch: Schon ein Bänderriß etwa, da sei er sicher, brächte das Klettern mindestens zur Negativ-Schlagzeile in der 'Abendzeitung'. Um die zu vermeiden, gibt's mittwochs zum bunten Treiben die grauen Lektionen zur Sicherheit: Seile prüfen, Knoten prüfen, Haken prüfen und nie nachlässig werden. Und weil's Lehrer Milz damit sehr ernst ist, gerät ihm, der sonst Deutsch und Englisch lehrt, sein Sport manchmal wider Willen zum Unterricht as usual: Einer redet, der Rest hört zu. So wie Schule immer war. Nicht ganz so geil. Klettern in der Schule Die Nymphenburger Schule in München war die erste, inzwischen wird Klettern aber nicht nur von privaten Instituten angeboten.

In 16 staatlichen Schulen von Bayern bis Nordrhein-Westfalen wird vor und an der Wand unterrichtet Tendenz steigend. Der DAV führt für interessierte Pädagogen regelmäßig eine Fachübungsleiterausbildung durch. Informationen unter 089/140 03-0 'Bei keinem anderen Sport lernen KINDER ihren Körper besser kennen' 'Gegenseitiges COACHEN fördert das Sozialverhalten' "

(aus "Stern" 21/97 )

TIPP:Klettern als Schulsport (Deutscher Alpenverein)


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