Vor welchen Schwierigkeiten
und Hindernissen steht man heute als Referendar, wenn man Sicherheit im
Unterricht bekommen will und dabei den Anspruch hat, neuere didaktische
Tendenzen aufzugreifen?
Welche Auswirkungen haben
die didaktischen Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten ... auf
das unterrichtliche Handeln des Berufsanfängers?
Kann man sich eigentlich
dem Streit um Ziele, Inhalte und Methoden unseres Faches stellen, ohne
dabei in Schule und Unterricht nicht noch mehr verunsichert zu werden?
In meinem nachfolgenden Diskussionsbeitrag
möchte ich die subjektiven Bedingungen dieses Problems darstellen
und analysieren. Dabei möchte ich das Spannungsfeld von Sicherheit
im eigenen Unterricht und gezielter Entwicklungsförderung von Schülern
im Zusammenhang mit einer Bestandsaufnahme sportdidaktischer Bruchstücke
beleuchten. Schließlich will ich einige Anregungen geben, wie der
Weg des Suchens nach einer Sicherheit verleihenden Unterrichtsstrategie
beschritten werden könnte.
1. DIE SPORTBIOGRAPHIE ALS GEHEIMDIDAKTIK
Es gibt bisher keine genaueren
wissenschaftlichen Untersuchungen über die Entwicklung und Umsetzung
didaktischer Vorstellungen bei Sportreferendaren.
Vieles spricht jedoch dafür,
dass die Sportbiographie den Unterricht oft grundlegender bestimmt als
didaktische Reflexion. Selbsterfahrener Unterricht, Vereinssport, Sport
mit Freunden, Sportstudium, die "Sportschau" usw. hinterlassen eine ganz
spezifische Wirkung, die sich dann wieder bis in die einzelne Sportstunde
durchsetzen kann.
Positiv und angenehm daran
ist gerade die Sicherheit, die dadurch vermittelt wird. Aber nur allzu
leicht und hinterrücks werden diese Sporterfahrungen zum Maßstab
des Unterrichts und damit zur Geheimdidaktik. Sport ist wie kein anderes
Fach davon bedroht, weil hier das Spektrum der eigenen Erfahrungen so weitreichend
ist. Ich selbst bemerke bei mir immer wieder, wie z. B. meine langjährigen
Vereinserfahrungen in der Leichtathletik meine Unterrichtsvorstellungen
in eine problematische Richtung vorstrukturieren (Schema: Einlaufen, Gymnastik,
Lernen oder Üben einer Fertigkeit usw.). Obwohl ich neuere didaktische
Ansätze in der Schulleichtathletik kenne (z. B. über die Vielfalt
des Laufens, Springens, Werfens), führt mich meine Routine sehr leicht
in diese andere Richtung. Und wer greift nicht gerne bei schlecht vorbereiteten
Stunden darauf zurück? Die Sportsozialisation wird also gegenüber
den Erkenntnissen der Sportpädagogik leicht übermächtig
und deshalb scheint es mir für Studium, Referendariat und Sportlehrerdasein
sinnvoll zu sein, sich immer wieder mit der Frage auseinander zusetzen,
wie denn eigentlich das eigene Bild vom Sport und damit verbundener Lern-
und Entwicklungsprozesse zustande kommt (vgl. hierzu auch Frankfurter Arbeitsgruppe
1982, S. 24 ff.).
Gerade während des Referendariats
könnten die Fachseminare solche Fragestellungen aufnehmen, um so Sportdidaktik
in ihrer kritisch-anleitenden Funktion erst wirksam werden zu lassen bzw.
grundlegende Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß eine "unbewältigte
Sportvergangenheit" eine vorhandene Innovationsbereitschaft nicht stört.
2. DIE PROBLEMATISCHE SICHERHEIT DER
ÜBUNGSREIHEN, LEHRHILFEN UND UNTERRICHTSMODELLE
Ein zentraler Faktor der
Unterrichtsplanung dürften nach wie vor die methodischen Übungsreihen
sein. Unbestritten ist, dass sie motorische Lernprozesse erleichtern können.
Aber sie folgen nicht der Frage, ob Sport in der Schule auch so angeboten
werden soll. Wenn Methodikbücher den Untertitel "Für Schule und
Verein" haben, wird dies sehr oft vorgetäuscht. Und auf der Suche
nach einer Sicherheit verleihenden Unterrichtsstrategie besteht die Gefahr,
sich allzu leicht auf eine solche Täuschung einzulassen. Lehrhilfen,
Unterrichtsmodelle usw. schmücken die methodischen Übungsreihen
weiter aus, wodurch ihre Attraktivität noch weiter steigt. Es ist
deshalb durchaus möglich, dass die eigene Sportbiographie angereichert
mit Übungsreihen, Unterrichtsmodellen usw., eine nähere Beschäftigung
mit Sportdidaktik als überflüssig erscheinen lässt.
Sportdidaktik bekommt in
der Tat etwas Nachgeordnetes, wenn die tägliche Unterrichtsvorbereitung
hier ansetzt. Ein Rückgriff auf eigene Sporterfahrungen, Übungsreihen
usw. kann aber nur dann wirklich legitimierbar sein, wenn zuvor Zielsetzungen
im Zusammenhang mit der Entwicklungsförderung von Schülern offengelegt
sind. Die Hilfen, die man dazu von der Sportdidaktik bekommt, sind aber
nur sehr allgemein, und denkt man z. B. an Zielsetzungen und Leitideen
wie "Handlungsfähigkeit", "Emanzipation" usw. so lassen sich leicht
und oberflächlich die verschiedensten Unterrichtsstrategien hierunter
subsumieren. Stelle ich mir die Leitfrage, welche physischen, motorischen,
kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklungsprozesse ich mit meinem
Sportunterricht organisieren kann, stoße ich schnell auf ein Geflecht
von sich gegenseitig durchdringenden Faktoren, die oft undurchschaubar
bleiben. Die "Logik des Alltags" (LANGE) zwingt mich dann oft, einen soliden
Unterricht durchzuführen, den ich als reflektierender Sportlehrer
als problematisch erkenne. Ich glaube allerdings nicht, dass dies mein
individuelles Problem ist, sondern den letztlich unbefriedigenden Entwicklungsstand
der Sportdidaktik selbst widerspiegelt. Insofern muss ich in meiner Unterrichtspraxis
den wirklichen didaktischen Erkenntnissen sogar ein Stück voraus sein.
Eine schwierige Aufgabe.
3. VERUNSICHERUNG DURCH DIE VIELFALT
DIDAKTISCHER THEMEN UND ANSÄTZE
Je umfangreicher die individuelle
Kenntnis sportdidaktischer Arbeiten und Fragestellungen, um so mehr stellt
sich die Aufgabe unter den verschiedenen Angeboten abzuwägen. Soll
dies nicht beliebig erfolgen, braucht man Maßstäbe und Entscheidungskriterien
hinsichtlich der Ziele, Inhalte und Methoden. Stehen verschiedene Ansätze
konkurrenzhaft gegenüber, müssen außerdem noch Maßstäbe
hinsichtlich ihres Begründungsgehaltes vorhanden sein.
Fragen über Fragen.
Was z. B. sollen die Schüler im Sportunterricht unbedingt lernen und
wann? Wie ordne ich die Elemente des sozialen Lernens und der Kommunikation?
Inwieweit können und sollen die Schüler das begreifen, was sie
tun? Wann soll ich die Bewegungsaufgabe als Anweisung, wann als Problemsituation
vorgeben? Ist die exakte Bewegungsausführung wichtiger als mögliche
Aspekte der Körpererfahrung? Welche Sportarten sind anderen vorzuziehen
oder soll ich überhaupt noch im System der Sportarten denken? Gibt
es so was wie eine Hierarchie von Sinnrichtungen (Leistung, Überbietung,
Gesundheit, Geselligkeit, Exploration, Ausdruck usw.; KURZ 1979, S. 85
ff.)? Der Hinweis auf eine möglichst große Vielfalt ist auch
nicht mehr befriedigend, weil Entscheidungen einer allzu großen Beliebigkeit
überlassen werden. KURZ selbst hat in dem anfangs angeführten
Zitat darauf hingewiesen.
Gerade weil die Situation
so unübersichtlich und unsicher ist, kann es vorkommen, dass Erkenntnisse
der Sportdidaktik ganz und gar verdrängt werden und die Tendenz besteht,
sich dem Pragmatismus hinzugeben. Sucht man in der Sportdidaktik nach wirklich
praxis- und schülerbezogenen Entscheidungshilfen, so verstärkt
sich der Eindruck ein Fass ohne Boden vor sich zu haben. Dennoch: Es besteht
überhaupt kein Anlass zu Rückzug oder Resignation, denn die Problemebenen
sollten nicht verwechselt werden. Was m. E. fehlt, sind eindeutige Relevanzkriterien
für den einen oder anderen Ansatz; sind Kriterien für die Integrierbarkeit
verschiedener Modelle. Vor allem steht noch weitgehend die Beantwortung
der Frage aus, wie Sportunterricht entwicklungsgemäß gestaltet
werden könnte. Vorhanden sind aber vielfältige Anregungen für
eine innovative Praxis, welche den Sportunterricht allemal bereichern können.
Auf sie zu verzichten hieße, Erkenntnisfortschritte ungenutzt zu
lassen, und das wäre schon im Interesse der Schüler nicht gerechtfertigt.
Ich denke da vor allem an die Vorschläge von KURZ (1980), EHNI (19'77),
SCHERLER (1975), FUNKE (1979, 1980, 1983) und die Zusammenstellung und
kritische Einschätzung grundlegender didaktischer Themen bei BRODTMANN
(1979).
Von solchen Konzeptionen
ausgehend Sportunterricht - auch in Teilaspekten - zu planen, durchzuführen
und auszuwerten, ermöglicht erst den so wichtigen Einblick in deren
Möglichkeiten und Probleme. Individuell ist dies sehr schwierig und
möglicherweise aufgrund des Praxisdrucks sogar unmöglich. Wenn
sich die Sportdidaktik selbst immer noch in einer "Phase des Suchens" (LANGE
1975) befindet, sollte auch das Referendariat als eine gemeinsame, problemoffene
Theorie und Praxis verbindende Suche nach gangbaren Wegen organisiert werden.
Manchmal ist es dabei schon ein Fortschritt, wenn Probleme und Unsicherheiten
genauer formuliert werden können. Viel schlimmer ist es, eine Gewissheit
dort zu behaupten, wo es sie überhaupt noch nicht gibt, weil damit
der Zugriff zu den sich verändernden Erfordernissen der Erziehung
durch Sport und im Sport verbaut wird.